Juli 2

24 Stunden Rennen am Alfsee 2017

Zweifeln.

Losfahren.

Ankommen.

… so der Untertitel des Ultracycling Tagebuchs von David Misch, der mit drei einfachen Wörtern mein erstes 24 Stunden Rennen als Einzelfahrer beschreibt.

Bei strahlendem Sonnenschein sind wir am Samstagmorgen (relativ spät) am Alfsee angekommen. Dank Marc, der bereits am Vortag angereist war, hatten wir mal wieder einen Top-Platz für unser Fahrerlager um Willi Wohnwagen.

Nach Begrüßung der alten Bekannten – Daniel, Olaf, Patrik, Knappi und Ralf – stand noch einmal ein ausgiebiges Carboloading auf dem Programm.

Danach fand das Teambriefing statt, in dem wir meine Vorstellungen vom Rennverlauf und die Versorgung während des Rennens festgelegt und besprochen haben … „bitte die Geschmacksrichtung der Riegel wechseln“ … „und nein, auf keinen Fall Vanille!„…Berry mag ich am liebsten!“

Viel Zeit blieb (vielleicht zum Glück) nicht mehr … und dann ging es in Richtung Startblock … das gesamte Team begleitete mich und ich trank das ersten von – ich weiß nicht wie vielen – Päckchen Flüssignahrung … Geschmacksrichtung Erdbeere … bäääähhh.

Trotz der guten Vorbereitung stand ich mit einer gehörigen Portion Zweifel an der Startlinie … ob ich wirklich 24 Stunden durchhalten würde … ???

Mein Ankerlied für das Rennen war „Let Go“ von Natascha Bedingfield. Ich habe dieses Lied vor jeder langen Trainingseinheit gehört und es mir via Mp3-Player auch direkt vor dem Rennen noch einmal angehört. Let go and enjoy the ride … so heißt es im Refrain!

… und dann setzte sich das Feld in Bewegung. Wie schon den Tag vor dem Rennen, war ich auch jetzt mächtig nervös. So nervös, das ich es nicht mehr hin bekam, den Mp3-Player in meiner Trikottasche zu verstauen … die Kopfhörerkabel wollten einfach nicht rein gehen. Ein Streckenposten hat meine Verzweiflungstat gesehen und mir zum Glück dabei geholfen … und dann ging es los … 24 Stunden Rad fahren lagen vor mir:

Die Streckenführung war etwas anders als noch im Vorjahr. Einen zusätzlichen, fiesen senkrechten Uphill am Deich überraschte mich ziemlich am Anfang … und mein Bestreben, meinen Puls von Anfang an möglichst unter 139 und in Spitzen auf maximal auf 146 zu bringen wollte anfangs nicht wirklich gelingen. Aufregung, Nervosität und Adrenalin saßen dann wohl doch mit auf dem Rad.

Der Nachmittag verlief gut. Ich habe alle halbe Stunde etwas gegessen, der Puls pendelte sich ein, das Wetter war super, mein Team hat mich an der Strecke super angefeuert, die Versorgung klappte … enjoy the ride!

Die Startnummern sagten aus, in welcher Kategorie der jeweilige Fahrer an den Start gegangen ist. Die 8er-Team hatten 8.000 Startnummern, die 4er-Teams 4.000 Startnummern usw. Wir Solofahrer waren an der 1.000 Nummer zu erkennen. Bereits am Nachmittag sind die ersten Teamfahrer teils schweigend mit einer „Haut-ab-Handbewegung“ aber auch mit anerkennenden Worten „Respekt was ihr macht“ … „unglaublich mit welcher Durchschnittsgeschwindigkeit ihr unterwegs seid“, „irgendwann werde ich das auch mal machen“ neben uns gefahren.

… beeindruckend welche Gefühle und Energie dieses Feedback jedes Mal auslöste .

Um 20:30 Uhr bin ich dann das erste mal raus gefahren um – wie geplant – einen schönen Teller Nudeln zu essen und mich kurz einmal abzuduschen. Lecker und schön war´s. Aber dann ging es auch schon weiter und die Nacht nahte …

Eine Nacht durchzufahren war für mich eine völlig neuartige Erfahrung, die ich bis dato nicht kannte …

… aber, auch die Nacht verlief gut. Mein Team stand noch lange, lange oben am Deich und hat mich noch ganze drei Runden lang angefeuert. Meine kleine Sigma-Lampe machte genug Licht (hab ich doch gesagt Marc!) … allerdings leuchtet so ein auf dem Lenker befestigtes Stecklicht immer nur gerade aus. Wenn man in den Trail-Passagen nach zwei Absätzen fast 90 Grad rechts einbiegen muss, dann erfasst der Lichtkegel die neue Richtung erst, wenn man schon komplett rum ist … einmal habe ich deshalb tatsächlich des Nachts unliebsam an einem Baum gebremst.

Es waren so ca. zwei Stunden nach dem es vollständig dunkel war, als ich feststellte, dass meine Augen müde wurden. In dem Moment dachte ich, „au ha, was soll daraus werden. Diese technisch anspruchsvolle Strecke müde und nicht voll konzentriert zu fahren …“ Und genau das war die erstaunlichste Erkenntnis des gesamten Rennens. Von dem Moment an war ich nicht einmal mehr müde … kaputt ja, aber nicht müde. Auch nicht die Augen. Warum? Keine Ahnung, aber erstaunlich wozu der menschliche Körper in der Lage ist.

Enjoy the ride …

Auch wenn es auf dem Foto anders aussieht, hatte ich exakt bei diesem Foto einen kleinen Hänger. Mit Blick auf die Uhr, die NOCH 09:30 Uhr anzeigte, habe ich das erste Mal gedacht „boah, das ist aber noch ganz schön lange … ob ich noch wirklich so lange Lust haben werde?!?“

Bereits vor dem Rennen hatte ich immer wieder betont, dass es mein primäres Ziel des Rennens ist, bei Sonnenaufgang im Sattel zu sitzen. Und irgendwann so gegen halb fünf war es dann auch soweit … die Sonne ging auf … ein geiles Feeling … einfach nur geil … und ich fuhr immer noch …

Gegen 07:00 Uhr habe ich dann die geplante zweite Pause eingelegt. Bis dahin lief alles wie geschmiert und vor allem auch so wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber eben nur bis dahin: Im Versorgungszelt gab es keine Ei-Brötchen! Aber genau das hatte ich mir doch bei der Rennvisualisierung immer vorgestellt, geschmeckt … Zum Glück gab´s aber im Fahrerlager die ebenfalls visualisierte Tasse Kaffee … eine weiter kurze Dusche und ne neue Buchse …

Und dann ging´s weiter … enjoy the ride

Im Laufe des Vormittags stellten ich die ersten körperlichen Veränderungen fest. Urplötzlich bekam ich Zahnschmerzen, zwischenzeitlich hatte ich mal das Gefühl ein leichtes Flimmern auf den Augen zu haben, der Puls war abgefallen und schwankte kaum noch in Spitzen, der Arsch tat natürlich weh, es gab gute Runden und nicht so gute Runden und Runde für Runde verschwand  immer ein wenig mehr Dampf aus den Beinen, so dass ich in den Anstiegen irgendwann doch schon ziemlich beißen musste  …

Der linke Daumen war am Fingernagel aufgeplatzt wodurch das Umlegen vom kleinen auf das große Kettenblatt nach jeder Abfahrt unangenehm schmerzte. Aber, es hat immer noch Spaß gemacht …

Mattis ist erneut beim Dicke Reifen Rennen an den Start gegangen und hat der starken Konkurrenz mit einem hervorragendem 7 Platz gezeigt, dass man noch wirklich großes von ihm erwarten kann. Glückwunsch zu dem tollen Ergebnis!

Leider konnte ich das Rennen nicht mit verfolgen, aber wie es der Zufall so wollte, war ich gerade in der Marktplatzdurchfahrt als ich über die Lautsprecherdurchsage gehört habe, dass die Siegerehrung des Dicke Reifen Rennen stattfindet. So habe ich dann – ungeplant aber gerne – die dritte kurze Pause eingelegt und Mattis bei der Siegerehrung angefeuert.

Marc hatte mir dankenswerterweise angeboten, mich á la Udo Bölts noch einmal zwei Runden zu begleiten, was zu diesem Zeitpunkt wirklich eine super Unterstützung für mich war.

Die nächsten zwei Runden bin ich dann wieder alleine gefahren. Das heißt, alleine ist man natürlich nie auf der Strecke. Interessanterweise bin ich während des gesamten Rennens zwischendurch immer wieder stückweise mit der späteren Siegerin der Frauen, Julia Golz, zusammen gefahren. So auch in den letzten zwei Runden. Da wusste ich allerdings nicht, dass es die führende Frauenfahrerin ist.

Und so rückte 14:00 Uhr und damit das Ende der 24 Stunden immer näher. Die letzte Runde sind wir dann noch einmal alle gemeinsam gefahren … Marc, Daniel, Olaf, Patrik, Knappi, Ralf und ich.

Und dann war es soweit … die Zieleinfahrt … die Uhr stand auf 00:00:00 …  und mein Team hinter der Absperrung …

. . . F I N I S H E D . . . 2 4 S t u n d e n   g e f a h r e n . . .

In Summe waren es 25 gefahrene Runde, also 300 Kilometer und ca. 4.000 Höhenmeter.

… g e i l ,  g e i l ,  g e i l … 

Am liebsten würde man diesen Moment stundenlang auskosten, aber leider geht es dann immer alles viel zu schnell vorbei.

Vor dem Rennen hatte ich Marc eine Flasche Weizen gegeben und gesagt: „Du hast während des gesamten Rennen nur eine Aufgabe … dafür zu sorgen, dass diese Flasche morgen um 14:00 Uhr kalt ist“. Und das Belohnungsweizen gab es dann auch eiskalt im Fahrerlager … h e r r l i c h ! Das hatte ich mir verdient!

Mit dem Belohnungsweizen im Bauch und der „Rennliege“ unter mir ging es dann allerdings ziemlich schnell … schwupp waren die Augen zu und ich habe kurz ein wenig geschlummert …

Zweifeln. Losfahren. Ankommen. Das bringt es auf den Punkt.

Am Ende bleibt aber die Erkenntnis, dass man ein 24 Stunden Rennen als Solofahrer nicht ohne ein gutes Team im Rücken bestreiten kann. Und ich hatte ein richtig gutes Team, für dessen Unterstützung ich mich nur immer wieder bedanken kann …

… dieses dicke Dankeschön gab es auch noch einmal nach dem Rennen, als alles wieder aufgeräumt und eingepackt war. Und ich habe gesagt, dass, wenn alle noch einmal dabei sein würden, ich mir vorstellen könnte, mit diesem Team im nächstes Jahr beim RAAM an den Start zu gehen … ob ich das wirklich ernst gemeint habe … ?!?

 



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VeröffentlichtJuli 2, 2017 von Torsten Walter in Kategorie "24h Rennen Alfsee

3 COMMENTS :

  1. By Marc on

    Ich habe großen Respekt vor deiner Leistung und freue mich auf weitere Events mit dir. Der Berg ruft! Aber hallo mit Krawallo😉

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  2. By Mensi on

    Glückwünsche, dann ist Hamburg für dich ja ein „Klacks“ 😉✌👍

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  3. By Burgi on

    Hallo Speedy, coole Aktion !!
    .. und du erzählst was von wegen Wandern……
    Ich bin schon auf den nächsten Bericht gespannt!!
    Deine leicht ironischen Kommentare lassen sich gut lesen :-).
    Ich bin schon stolz auf mich, es mit dem Rad von Herford nach Minden geschafft zu haben. Bis zum nächsten Zug dann mal!

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